#08 Kluane: Indian Summer und der geklaute Fluss

Diese unglaubliche Weite!

Schaut man durch die Windschutzscheibe unseres Campers, sieht man direkt in die nordamerikanische Endlosigkeit. Und auch der Blick in den Seitenspiegel macht jedes Mal richtig Spaß: Schneebedeckte Bergketten, bunte Wälder, karge Hochebenen. Und kaum jemand anderes ist auf der Straße unterwegs.

Seit einer Woche sind wir nun schon auf unserem Roadtrip - trotzdem kann ich mich einfach nicht satt sehen. Weder vom Yukon, noch von Alaska und auch nicht von der Wildnis British Columbias.

Die USA liegen jetzt hinter uns.

Das ist erfreulich, auch wenn Alaska sehr schön war.
Kanada ist einfach viel entspannter. Hello again, Yukon!

Von Haines aus ging es am ausladenden Chilkat River Bett entlang, parallel zur massiven Gebirgskette der Coast Mountains, an Gletschern vorbei und stetig bergauf, bis wir schließlich am Pleasant Camp die kanadische Grenze überquerten.
Glücklicherweise dieses Mal ohne behördlich angeordnete Kühlschrankräumung.

Abschied aus Alaska - auf einem Traum von Straße zurück in den Yukon.

Die Haines Road führt jetzt weiter in nördliche Richtung, zunächst durch BC, dann bald durch den Yukon. Und sie wird enden in Haines Junction, nach 238 Kilometern, wo sie auf den Alaska Highway trifft.

Haines nach Haines Junction, dieser Abschnitt gefällt uns besonders.

Denn man weiß nie, was einen erwartet - häufig gibt es landschaftliche Überraschungen. Nach jeder Kurve, jeder Bergkuppe, ist es fast so, als öffne sich ein Theatervorhang, der die Sicht frei gibt auf die Bühne mit spektakulärem und liebevoll gestaltetem Bühnenbild.

Deshalb wird dieser Reiseabschnitt auch nie langweilig, auch wenn er ein paar Stunden dauert. Wir genießen die Fahrt, machen auch mal länger Halt und wandern durch wunderschön herbstliche Landschaften. Sowieso wird es immer herbstlicher, je weiter nördlich wir kommen.

Indian Summer im Yukon, ein farbenfroher Traum!

Zur Herbstlaubfärbung - beziehungsweise zu unserem Timing - machen wir uns Gedanken: Wir sind in der ersten Septemberhälfte unterwegs. Hier, auf dem Weg nach Haines Junction, ist nun mittlerweile fast Mitte September. Vielleicht hätten wir etwas später starten sollen, um die Farben etwas intensiver erleben zu können. Auf der anderen Seite wird es nachts schon teilweise richtig kalt. So kalt, dass wir im Camper ab und zu trotz Decke mit Daunenjacke schlafen. Erschwerend hinzu kommt, dass der Power-Knopf unserer Gasheizung abbricht - Heizung aus, für immer - und ab diesem Zeitpunkt fühlt sich das Ganze nachts eher an wie der Anfang vom Winter, als Herbst.

Dennoch - das Timing ist ein guter Kompromiss. Viele Yukon Campgrounds schließen übrigens Ende September, wahrscheinlich aus sehr gutem Grund.

Auf etwa zwei Drittel des Weges nach Haines Junction legen wir einen Übernachtungsstopp ein, auch, wenn man die Strecke theoretisch gut an einem Tag schaffen würde.

Irgendwo zwischen Haines und Haines Junction, zwischen Spätsommer und Herbst.

Der Campground heißt "Million Dollar Falls".
Und der entsprechende Wasserfall ist direkt neben unserem Stellplatz.

Der Name erschließt sich uns allerdings nicht - "Fifty Dollar Falls" wäre aus unserer Sicht auch völlig in Ordnung gewesen. Glücklicherweise kostet auch hier die Stellplatzgebühr nur 20 Kanadische Dollar und auch bei diesem Campground sind wir bis auf einen weiteren Camper die einzigen Gäste.

Million Dollar Falls. Das Preis-Leistungs-Verhältnis würden wir mal challengen…

Million Dollar Snack. Der rustikale Steak-Guacamole-Burger auf offener Flamme gegrillt, mitten in der Wildnis.

Als wir am nächsten Tag in Haines Junction ankommen, tanken wir - an der Tankstelle mit der vielleicht schönsten Panoramaaussicht.

Everything looks better with a view: Tanken in Haines Junction.

Diese Tanke, ein paar Häuser, eine Art Supermarkt, zwei drei Unterkünfte und ein schick gemachtes Natur- und Kulturmuseum (Da Ku Cultural Centre; mit hervorragendem WiFi), mehr ist Haines Junction nicht. Das ist auch völlig ausreichend, für uns ist das hier, wie wohl für die Meisten, nur eine notwendige Durchgangsstation.

Mit vollem Tank und Abenteuerlust verlassen wir jetzt die klassische Golden Route ein weiteres Mal. Von Haines Junction würde es eigentlich östlich den Alaska Highway entlang gehen, bis nach Whitehorse, dem Ausgangspunkt des Trips. Wir haben aber das Gefühl, dass es sich lohnen könnte den Alaska Highway noch weiter westlich zu fahren, nordwestlich um genau zu sein - in Richtung Kluane National Park.

Wahrscheinlich eine der schönsten Straßen der Welt: der Alaska Highway.

Wir machen uns schlau: Der Alaska Highway führt durch BC, den Yukon und bis nach Alaska, (Länge 2.237 Kilometer), wurde damals vom US-Militär gebaut, während des zweiten Weltkriegs. Man sah die Notwendigkeit aufgrund der politischen Situation eine Straßenverbindung von Kanada in die USA zu bauen.

Die Amis bauten den Highway also und bezahlten das Ganze auch, sogar die langen Abschnitte auf kanadischem Grund - die Kanadier erteilten hierfür eine freundliche Genehmigung. Allerdings nur unter der Bedingung, dass nach Ende des Kriegs der Alaska Highway auf Kanadischem Grund auch Kanadisches Eigentum wird.

So kam's dann auch.

Und so geht es für uns vorbei an kanadischen (bzw. indigenen) Siedlungen wie Bear Creek und Kloo Lake, bis wir schließlich Silver Stadt erreichen, die wir links beziehungsweise rechts liegen lassen. Ein letzter Panorama-Abschnitt des Alaska Highways und der Kluane Lake ist erreicht.

Der Kluane Lake - wieder so ein “magischer” Ort. Zwischen November und Juni ist er bis zu 1,5 Metern dick zugefroren, wird gespeist von Gletschern, einem riesigen Eisfeld, das im Kluane Nationalpark liegt. Und auch der höchste Berg Kanadas ist hier verortet, der Mount Logan (5.959 m).

Wir fahren am Rande des Sees durch eine Gletscher-Moräne.

Hier war mal ein riesiger Fluss, der Slims River.
Den gibt es seit 2016 nicht mehr.

Vor sieben Jahren zogen sich die Gletscher soweit zurück, dass der Slims River versiegte - innerhalb von vier Tagen, "Flußklau".
Statt in den Kluane See fließt das Wasser nun auf der anderen Seite in die Bucht von Alaska, also direkt ins Meer, der Kluane See geht leer aus.

Und das, was hier von dem Slims River übrig geblieben ist, ist nun eine riesengroße Moräne, eine Geröll- und Sandwüste, eine weite und steppenartige Landschaft.

Es sieht sehr beeindruckend und ganz anders aus als die restliche Landschaft unseres Roadtrips.

Als wir die Gletschermoräne überqueren entdecken wir eine Sanddüne - und halten natürlich. Eine Düne, mitten in diesem Bergpanorama! Wir steigen aus, spazieren ein wenig umher und machen unsere Fotos.

Der Wind ist stark und eisig. Herunter gepfiffen kommt er direkt von den Gletschern. Gletscherwind, der durch die Moräne donnert, dabei feinen Sand aufwirbelt und ihn über die Düne jagt. Nach wenigen Momenten haben wir den Sand überall.

Sandsturm statt Wasser: Wer hat den Slims Fluss geklaut?

Wir genießen diese außergewöhnliche - und völlig unerwartete - Situation, diesen ungewöhnlichen Ort. Wenn man allerdings überlegt, warum wir hier diesen Moment erleben und warum wir zu unseren Bildern kommen, dann stimmt einen das natürlich nachdenklich.

Vor Kurzem war das hier noch ein reißender, eiskalter Fluss.
Und jetzt stehen wir barfuß in einer Düne und reiben uns Sand aus den Augen.

Der ehemalige Slims Fluß. Man kann erahnen, welche Wassermassen die Gletscher hier runter geschickt haben müssen. 

Wüste statt Fluß, Sandstürme statt Wassermassen. Oben rechts im Bild der Kluane Lake und der Alaska Highway.

Das Ausmaß der Konsequenzen für dieses lokale Ökosystem hier, sowie alle mit ihm verbundenen anderen Ökosystemen, kann man noch gar nicht abschätzen. Wohl aber sehen wir hier einen weiteren, ganz konkreten Effekt des Klimawandels - auch das ist immer wieder Teil unserer Reise und Teil der Gedanken, die wir uns machen.

Entlang des rauen Kluane Sees geht es nun noch etwas weiter nördlich, wir verbringen eine eisige und windige Nacht am Ufer, im Congdon Creek Campground.

Weiterer Abstecher von der klassischen Golden Circle Route: Kluane National Park

Am nächsten Morgen ist es dann Zeit umzudrehen. Wir machen uns auf den Rückweg, über Haines Junction wieder auf die Golden Circle Route bis nach Whitehorse - mit einem letzten Overnight-Zwischenstopp am wunderschönen Takhini River, für den wir ein letztes Mal die klassische Routenführung verlassen.

Am finalen Abend sitzen wir am Lagerfeuer - direkt am Wasser des Takhini Lakes - und grillen unser festliches Abschiedsessen. Bei Lachs, Lobsterschwänzen und Dosenbier lassen wir die Erlebnisse der letzen zwölf Tage Revue passieren.

Wildlachs am Ende der Welt. Am Anfang eines wunderbaren Abends.

Der Roadtrip auf der Golden Circle Route war intensiv, eindrucks- und bildstark, aufregend und entspannend zugleich, anregend und inspirierend.

Und ganz sicher - das war nicht unser letzter Trip in den wilden Yukon!

Wir schauen auch zurück auf unsere ursprüngliche Planung und legen unsere Erfahrungen als Schablone drüber: Wir hatten uns damals entschlossen doppelt so viel Zeit zu investieren als es die klassische Golden Circle Route eigentlich vorsieht, beziehungsweise doppelt so lange wie das, was man so liest. Der Hintergrund war einerseits, dass wir nicht rasen und oft anhalten wollten, um Fotos zu machen. Andererseits auch, weil wir einige Abstecher machen wollten.

Und rückblickend muss man sagen, dass das Abenteuer insgesamt klasse war - aber eben diese Abstecher die eigentlichen Highlights waren von "unserer" erweiterten Golden Circle Route: Der Fox Lake gleich zu Beginn, unsere verlängerte Bären-Zeit in Alaska und natürlich der Abstecher zum Kluane Lake, auch der Trip nach Atlin war spitze. All dies hätten wir nicht machen können, wären wir konsequent die Golden Circle Route abgefahren.

Statt sechs waren wir zwölf Tage unterwegs, diese Entscheidung bereuen wir keinesfalls.

Die Wahl des Campers ist allerdings ein Punkt, an dem wir ansetzen würden. Für sechs Tage wäre unsere Kiste sicherlich gut gewesen. Für die doppelte Dauer hätten wir lieber etwas mehr investiert und ein größeres Modell gebucht. Besonders das "Bad" war hier einfach zu mickrig, um es einigermaßen entspannt zu nutzen. Auch das zweite Bett - bei uns der umgebaute Küchentisch - war eher eine Option für ein paar Nächte. Wenn ich meinen Rücken befrage, sogar eher nur für eine Nacht - aber keinesfalls eine gute Idee für fast zwei Wochen.

Das Ende unseres Roadtrips bedeutet auch das Ende des ersten Abschnitts meiner Langzeitreise. Fünf Wochen wildes Kanada und Alaska liegen nun hinter mir und ich bin völlig begeistert von dieser spektakulären Landschaft, der Natur, den freundlichen Menschen (wenn man mal jemanden trifft) - und vor allem dieser unglaublichen Weite!

Jetzt heißt es Abschied nehmen von Nordamerika und meiner Wildlife-Expertin - denn weiter gehts! Asien ruft!

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