#06 Yukon: Golden Circle Route
Vorbei an lustigen Partyhüten und Kinderspielzeug folge ich der Angestellten in die direkt angrenzende Waffenabteilung.
In verglasten Vitrinen, links und rechts von mir, sind Gewehre verschiedener Kaliber und Munition ausgestellt. Auch die ein oder andere Armbrust ist dabei.
Ein wirklich gut sortierter Baumarkt.
Waffen im Baumarkt. Willkommen im Yukon!
Ich deute auf die Vitrine, die es mir angetan hat, die Angestellte schließt auf und greift in das richtige Regal.
Ich nicke zufrieden. Die Munition passt.
Eine hervorragende Wahl für unsere anstehende Camper-Tour.
Schnitt. Etwas früher: Ein kühler, windiger und regnerischer Morgen in Whitehorse, auf dem gigantisch großen Supermarktparkplatz, dem Ausgangspunkt unseres neuen Reiseabschnitts. Es ist herbstlich und das ist was Gutes, denn wir sind ja auch wegen dem bunten Indian Summer hier. Nur etwas weniger nass dürfte es bitte sein.
Der Plan: Mit einem Campervan die Golden Circle Route zu fahren, die uns durch die Weiten des Yukons führen soll, an Seen und Flüssen vorbei runter nach Alaska und von Alaska mit der Bergkette des Kluane Nationalparks als ständiger Begleiter auf der linken Seite wieder hoch in den Norden. Aus den USA also zurück in den Yukon.
Die Golden Circle Route!
Sie ist benannt nach dem Klondike-Goldrausch Ende des 19. Jahrhunderts. Viele Abenteurer sind damals reich geworden, noch mehr sind beim Versuch ums Leben gekommen. Wir möchten weder das eine noch das andere, sondern hoffen auf einen spektakulären Roadtrip!
Start in Whitehorse in Richtung Süden nach Skagway, Fähre nach Haines, Fahrt nach Haines Junction und zurück nach Whitehorse.
Das sind nur 600 Kilometer, und Google/Apple-Maps sagt man schaffe es in acht Stunden, wenn man durchfährt (plus einer Fährfahrt). Wir nehmen uns aber acht Tage.
Und darüber hinaus nochmal vier Tage mehr, weil wir nicht rasen wollen. Und weil wir das Gefühl haben, man sollte hier und da mal ein paar Abstecher machen. Soll ja ganz schön sein die Gegend, vor allem im Herbst!
Es nieselt, der Wind pfeift über den Parkplatz des Supermarkts. Schon ganz anders als in Bella Coola, ein paar hundert Kilometer weiter südlich. Wir stehen bei der Übergabe vor unserem Camper, ein grobschlächtiger amerikanischer 4WD-Pickup mit aufgebauter Wohnkabine.
Fette Autos, unendliche Weiten und Holzfällerhemden, Grizzlies und ein Hillbilly-Schnauzer - es ist alles vorbereitet, kann also losgehen!
Oh la la! Kälte, Weite, Oliba. Und unser Camper.
Erster Check: Der Camper ist von draußen größer als gedacht. Von drinnen so miefig wie befürchtet. Und der Schnauzer alberner als erhofft.
Die Miefigkeit der Karre würde uns jetzt nicht weiter jucken, wenn es sich um einen Tagesausflug handeln würde. Allerdings werden wir die nächsten zwei Wochen diese Kiste unser Zuhause nennen. Also muss eben hier, auf dem Supermarktparkplatz, gleich der erste Hausputz starten. Gesäubert und mit einem Großeinkauf bestückt, lenken wir den Camper schließlich zu unserem ersten Ziel: dem Baumarkt mit der Waffenabteilung.
Denn uns fehlt noch etwas Entscheidendes:
Bärenspray, um für den Ernstfall gewappnet zu sein.
Auf unserer Reise durch Kanada hatten wir schon so einige Bären-Begegnungen gehabt, einige davon bewusst gesucht, andere kamen sehr überraschend. Die meisten Begegnungen waren mit Schwarzbären, aber andere auch mit gefährlichen Braunbären, den Grizzlies, und von denen sind hier oben wohl einige unterwegs.
Grizzlies können den Menschen potentiell als interessante Beute ansehen. Schwarzbären eher nicht, aber bei Missverständnissen kann’s trotzdem eng werden.
Grizzly - besser Abstand halten und nicht wie ein Lachs wirken (oder riechen).
Unfälle mit Verletzungen oder gar Todesfolge gibt es dennoch meistens dann, wenn der Bär sich bedrängt fühlt, er - beziehungsweise vor allem SIE - das Gefühl hat, den Nachwuchs verteidigen zu müssen oder ein sonstiges Kommunikationsproblem vorliegt.
Wie auch immer, wir wollten für unsere Wanderungen - und den Gang zum Plumpsklo - gewappnet sein. Deshalb der Baumarkt und deshalb die Waffenabteilung. Denn Bärenspray im Flugzeug mitzunehmen, ist verboten. Also muss nun ein neues her. Ganz schön kostspielig für ein bisschen Pfeffer…
Warum das Bärenspray hier neben Pumpguns angeboten wird, und warum direkt daneben Kinderparty-Hüte liegen, können wir nicht herausfinden. Aber was soll’s, jetzt haben wir alles, und es ist Zeit aufzubrechen.
Um im Bild zu bleiben: Startschuss für die Golden Circle Route, die auf der Karte Richtung Süden führt.
Wir lassen das - und fahren erstmal Richtung Norden. Auf dem Klondike Highway und entlang des Yukon Rivers.
Nicht, weil wir uns verfahren, sondern, weil wir gleich zu Beginn mal einen Abstecher machen wollen. Der Fox Lake ist unser erster Camping Ground und der gefällt uns gleich so gut, dass wir zwei Tage bleiben. Die klassische Golden Circle Route muss erstmal warten.
Unseren Stellplatz können wir uns frei wählen, wir sind fast die einzigen Gäste. Abends wird auf offenem Feuer Lachs gegrillt, direkt am Kiesstrand - und der Beginn des Roadtrips mit Gin Tonic aus der Camping-Tasse gefeiert, dekoriert mit einem Yukon-Nadelzweig.
Über Nacht schüttet es, und in höheren Lagen fällt der (wahrscheinlich) erste Schnee der Saison. Wir wachen überraschenderweise bei blauem Himmel auf - und die Kulisse mit dem See und dem Puderzucker-Hausberg ist einfach nur traumhaft, dazu gibt es selbstgemachte Blueberry Pancakes und heißen Kaffee.
Everything's better with a view - Holzhacken für die Lachs-Grillaktion am Wasser. Wir sind die einzigen Menschen, weit und breit.
Der Beginn unseres Roadtrips ist insgesamt sehr atmosphärisch und macht Lust auf mehr. Schon nach den ersten Kilometern lieben wir unseren Roadtrip, diesen neuen Reiseabschnitt.
Auch, weil alles ganz unkompliziert verläuft.
Die Camp Grounds in Kanada funktionieren sehr einfach: Entweder sind sie privater Natur (dann mag es abweichende Regelungen geben) - oder aber sie sind staatlich organisiert. Das klingt etwas bürokratisch, ist es aber überhaupt nicht.
Man fährt auf einen Camp Ground, dreht eine Runde und schaut ob ein schöner Platz frei ist - was bei uns jedes Mal der Fall ist, eigentlich sind meistens fast alle Plätze frei. Wenn man seinen Spot gefunden hat, parkt man und sollte innerhalb der nächsten halben Stunde 20 Kanadische Dollar (ca. 13 Euro) in einem Briefumschlag in eine Art Briefkasten werfen. Den Beleg dazu pinnt man dann an seinen Stellplatz. Super easy.
Kein Französisch, kein Problem: Auf der Rückseite ist das englische Formular.
Alle staatlichen Campgrounds sind gleich aufgebaut, es gibt gratis kleine Hefte über das lokale Wildlife, ausgeschilderte Wanderwege - und Feuerholz ist jedesmal vorgehackt und im Preis inbegriffen.
Jeder Stellplatz hat eine eigene Feuerstelle, auf der man auch grillen kann. Und im Yukon gibt’s - anders als in Vancouver Island und Bella Colla, in British Columbia - momentan kein Feuerverbot.
Nach zwei wunderbaren Tagen am Fox Lake zieht es uns nun weiter südlich, wieder an Whitehorse vorbei, auf der klassischen Golden Circle Route zum Wolf Creek Campground.
Hier wandern wir am türkis-grünen Yukon River und bekommen abends im Camp einen tierischen Überraschungsgast: zwar keinen Wolf, allerdings einen Schwarzbären auf Futtersuche. Und das ist ein willkommener Reminder, dass man keinesfalls Essensreste oder Müll offen herum liegen lassen sollte. Dafür gibt es in jedem Campground bärensichere Mülltonnen.
Ab dem Carcross Cutoff nehmen wir am nächsten Tag dann nicht den Highway 2, sondern verlassen die klassische Golden Circle Route ein weiteres Mal, nehmen stattdessen den Highway 1 am Marsh Lake vorbei, biegen bei Jakes Corner über die 8 auf die 7 und fahren noch ein wenig weiter Richtung Süden bis zum abgeschiedenen Snafu Lake. Völlig ab vom Schuss. Hier übernachten wir und beobachten aus unserem Küchenfenster ein paar Biber im See, die Bibersachen machen.
Snafu Lake: abgeschieden, unaufgeregt, schön - und mit Biber-Bonus.
Vom Snafu Lake geht es am nächsten Tag weiter auf der 7 bis hinunter nach Atlin.
In Atlin finden wir nicht nur einen kleinen Supermarkt, der lokalen Lachs anbietet, sondern auch eine heiße Dusche (Münzeinwurf). Bei beiden Angeboten schlagen wir zu. So sehr wir unseren Camper auch mögen, die Naßzelle hat die Größe eines Bierdeckels und der Duschvorgang ist äußerst umständlich. Da kommt die Münz-Dusche gerade recht. Frisch geduscht und mit aufgefülltem Kühlschrank geht es nun wieder nach Norden, über die 7 auf den Highway 8, an Tagish vorbei bis nach Carcross.
Carcross, 317 Einwohner, ist irgendwie etwas merkwürdig.
Ich dachte zunächst, diese Ansammlung von Gebäuden heißt Carcross, weil sich hier im Nirgendwo zwei Strassen kreuzen (cross) und vielleicht hier mal zufälligerweise zwei Autos (cars) begegnet sind. Trotz tiefster Provinz könnte das ja doch mal irgendwann theoretisch vorgekommen sein…
Abwegig ist der Gedanke bestimmt nicht, aber ist dann doch Quatsch:
Carcross heißt Carcross, weil es eine Abkürzung ist und für “Caribou Crossing” steht. Caribous sind diese hirschähnlichen Herdentiere, Rentiere, die die Ureinwohner verehren, und die hier heimisch sind.
Caribous sehen wir leider nicht und Carcross selbst ist auch eher ein nötiges Übel auf unserer Route: Hier gibt es zumindest eine Tankstelle mit integriertem Liquorstore. Das sind natürlich dann doch weltklasse Argumente für einen Besuch dieser lokalen Metropole.
Sehr gut. Tank bitte einmal vollmachen, danke.
Ansonsten gibt es hier nicht viel - nur eine industrielle Abfertigungsanlage für Pauschal-Kreuzfahrt-Touristen, die sich einen Tagesausflug aus dem fernen Skagway gönnen und dann hier gruppenweise in den Norden hochgespült werden um sich ein Carcross T-Shirt oder so zu kaufen. Ganz nach dem Motto: Been there, done that, Carcross: Check!
Wenn die Kreuzfahrer kommen, dann verdoppelt sich die Anzahl der Personen im Ort gefühlt schlagartig - um dann genauso schlagartig wieder auf 317 abzufallen, wenn die Kreuzis die Busse entern und zurück zu ihren schwimmenden Zellen kutschiert werden. Das erleben wir mit, und das ist schon etwas merkwürdig für diesen kleinen Ort hier.
Aber - es gibt in Carcross tatsächlich auch ein echtes Highlight:
Die kleinste Wüste der Welt. So sagt man zumindest.
Wir glauben zwar nicht, dass das stimmt - sind aber trotzdem begeistert.
Die Carcross-Wüste ist nur 2,5 Quadratkilometer groß, aber es fühlt sich richtig wüstig an. Wüstig, mit Bergpanorama und Gletschern am Horizont - das ist schon sehr besonders!
Es gibt sogar noch ein zweites Highlight in der Nähe von Carcross, die Emerald und Spirit Lakes, schön anzuschauen wegen der türkisen Wasserfarbe. Leider ist es bei unserem Stoppover so windig, dass die Seen aufgrund der Wellenbildung nicht wirklich türkis schimmern und meine Drohne kann ich auch nicht steigen lassen. Wir bekommen aber eine Idee davon wie schön es hier bei anderen Bedingungen sein muss.
Carcross ist also doch so viel mehr als zwei Straßen, die sich kreuzen.
Jede Gelegenheit will genutzt werden, um unsere Kiste etwas zu pflegen. Das geht zum Beispiel in Carcross.
Wir nehmen nun den Klondike Highway in südliche Richtung, und nach nur 18 Kilometern erreichen wir den nächsten Campground: Conrad Historical Site, am Lake Tagish gelegen, beziehungsweise am “Windy Arm”.
Hier sind ein paar Überbleibsel einer alten Silbermine zu sehen, richtig beeindruckend ist das allerdings nicht. Viel eher haben wir, wie immer, den Blick für die Natur - und die wird zusehends rauer, je weiter südlich wir kommen. Das gegenüber liegende Ufer des Windy Arm wirkt mit seinen rauen Berghängen fast schottisch.
Blick von der Conrad Campsite über den Windy Arm - her mit dem Dudelsack!
Die First Nation People, in diesem Falle die Tagish, nennen den See “Tséi Zhéłe' Méne'“, was in etwa so viel bedeuten soll wie “heulender Klang des Windes über das Wasser, gemacht von den Felsen”. Ich bin mir sicher, es verliert enorm durch die Übersetzung, aber Sinn macht es für uns schon. Es wird nicht nur alles etwas rauer auf unserem Weg nach Alaska, sondern auch zugiger. Zum Heulen ist es allerdings nicht. Auch dieser Zwischenstopp ist ein landschaftliches Highlight!
Die Corad Historical Site ist unsere letzter Campground im Yukon, für’s Erste.
Wir brechen auf Richtung British Columbia mit Ziel Alaska, also Richtung US-Grenze. Doch bevor wir über den Klondike Highway die Grenze erreichen, kommen wir an bemerkenswerten Landschaften vorbei, rund um den Shallow Lake, Bernard Lake und Summit Lake - und natürlich dem ungezähmten Tutshi River.
Während wir bergauf den Klondike Highway - und somit auf die US-Grenze - zurollen, blicken wir erstmals auch zurück auf den ersten Abschnitt unseres Roadtrips.
Der Yukon war atmosphärisch, spektakulär und intensiv - und wir haben uns schnell an die Umstände des “Lebens auf der Straße” und des Camper-Alltags gewöhnt. Auch an rechtliche Rahmenbedingungen. Dachten wir zumindest, bis wir in die US-Grenzkontrolle geraten. Dazu mehr im nächsten Blogbeitrag…
Na gut, dann eben nicht. Hoffentlich halten sich die Grizzlies dann beim Boxenstopp aber auch an diese neutrale Zone...
Von Whitehorse sind wir zunächst nördlich zum Fox Lake gefahren, von dort dann über den Wolf Creek Campground und den Snafu Lake Campground nach Atlin, zurück über Carcross und der Conrad Historical Site bis hier hin, nach British Columbia, auf dem Klondike Highway Richtung Alaska. Viele schöne Momente liegen hinter uns - und noch viel mehr werden folgen, da sind wir uns sicher.
Now it’s time to say Goodbye to Canada - and hello USA!